15 Sukzession und saures Wasser
Rotes Wasser und Pioniere
Ein Tagebau kehrt das Unterste zu oberst! Beim Freilegen der Kohle werden die auf ihr liegenden geologischen Schichten, der Abraum, durch die Tagebautechnik entfernt und z. B. durch den hier vor Ihnen stehenden Absetzer verkippt. Damit geraten Massen an die Oberfläche, die Jahrmillionen tief im Untergrund verborgen lagen, wie z. B. die tertiären Meeresablagerungen der Urnordsee. In ihnen sind u. a. schwefel- und eisenhaltige Mineralien – Pyrit und Markasit – eingelagert, die mit Sauerstoff und Wasser in Berührung kommend, oxidieren. Aus der Reaktion entstehen gelöstes Eisen (Fe²+) und Schwefelsäure (H2SO4), die den Boden sauer machen. Es werden pH-Werte bis zu 2,5 gemessen, was z. B. Zitronensaft, Cola oder Essig entspricht. Diese Substrate sind sehr nährstoffarm und wachstumsfeindlich. Die Eisenlösung gelangt zudem in Seen und Gewässer, wo sie ebenfalls für einen teilweise sehr niedrigen pH-Wert sorgt. Das Eisenoxid führt zu den bekannten Rotfärbungen des Wassers.
Ergebnis dieser gewaltigen Erdbewegungen waren (und sind) „Mondlandschaften“, großräumige sandige Brachflächen, auf denen faktisch nichts wächst. Insbesondere betraf das die Innenkippen der Tagebaue. Anschauliche Beispiele bieten unser Vorfeld und die Schüttkegel, aber auch die 70 ha große Göhrener Insel mitten im Störmthaler See, die im südwestlichen Teil noch heute saharaähnliche Zustände aufweist. Ihre typischen Rippen hat seinerzeit die Abraumförderbrücke im Tagebau Espenhain hinterlassen. Ca. 500 m von hier können sie vom westlichen Rundweg um den See einen guten Blick auf diese sehr spezielle Landschaft werfen.
Doch die Natur hat Geduld. Im Laufe der Zeit verliert der Boden durch Auswaschung, Anwehungen und in den Massen eingelagerte neutrale Substrate seinen sauren Charakter. Erste genügsame Pflanzen, wie das Landreitgras oder die Birke, Pioniere genannt, krallen sich in den Untergrund und sorgen für erste Verbesserungen des Bodens. Dieser Prozess, der Sukzession (lat. succedere „nachrücken“) genannt wird, führt über das Initialstadium (vegetationsfrei) und verschiedene Entwicklungsstufen zur Klimaxgesellschaft, einem relativ stabilen Endzustand. Unter den klimatischen Bedingungen Mitteleuropas bedeutet das Wald mit Eichen, Buchen, Eschen und Ulmen.
Die Erkenntnis, daß diesen Flächen eine eigene Wertigkeit beizumessen ist, ihnen eine eigene Ästhetik innewohnt, hat sich, verstellt durch den Blick auf die ökologischen Lasten der zusammenbrechenden Kohleindustrie, erst nach 1990 langsam heraus kristallisiert. Heute sind diese Areale, ob klein oder groß, einzigartige Biotope und überraschend wertvolle Hinterlassenschaften der Braunkohlenära.
Ebenfalls groß sind die Anstrengungen, das Wasser der Seen zu neutralisieren. Zum einen werden die größeren südlichen Seen über eine 70 km lange Leitung aus den Tagebauen Profen und Vereinigtes Schleenhain mit bestem Grundwasser geflutet, zum anderen werden von der LMBV verschiedene Verfahren zur Anwendung gebracht, wie z. B. das Einbringen von Natriumcarbonat (Soda) in den Bockwitzer See oder Kalkhydrat (Kalkmilch) in den Hainer und den Zwenkauer See.
Warum wächst hier nichts?
Wenn der Bergmann eine Grube ausbaggert, um an die Kohle zu kommen, fördert er auch eine große Menge Erde, den Abraum, zu Tage, die er nicht braucht. Deshalb häuft er sie zu einem Berg, einer so genannten Halde auf, oder wirft sie in die von der Kohle entleerte Grube. In diesen Massen verstecken sich winzig kleine Mineralien aus Eisen und Schwefel, die, wenn sie mit Wasser und Luft in Berührung kommen, die Erde sauer machen. So sauer wie Cola oder Essig. Das mögen Pflanzen gar nicht, die eigentlich gerne auf diesem Fleckchen Erde leben würden. Sie bleiben weg. Deshalb ist es an dieser Stelle so kahl. Doch nach einiger Zeit lösen sich die Minerale ganz auf und der Boden verbessert sich. Das erkennen einige Pflanzen und schwupp sind sie da, wie z. B. das Landreitgras oder die Birke. Weil sie die ersten sind, nennt man sie auch Pioniere. Und wenn viel, viel Zeit vergangen ist, dann wird hier ein Wald sein.