13 Die verlorenen Orte im Tagebau Espenhain
Wenn man von den „Verlorenen Orten“ spricht, so immer mit den unterschiedlichsten Emotionen und Sichtweisen, je nach Standpunkt des Betrachters. Nicht selten kam es vor, dass die im Tagebau beschäftigten Kumpel selbst ihre eigenen Wohnorte und damit die Heimat überbaggern halfen. Volkswirtschaftliche Überlegungen hinsichtlich der Sicherstellung der Energieversorgung bestimmen bis auf den heutigen Tag die Entscheidungen. An sie hatten und haben sich alle Beteiligten zu halten. Oftmals wird vielen Menschen aber erst im Nachhinein der Heimatverlust bewusst.
Ein Bergbauunternehmen ist in der Lage, solch ein komplexes Vorhaben wie einen Tagebau technisch und organisatorisch zu meistern, aber nur schwer kann es die sich oftmals abspielenden menschlichen Tragödien nachvollziehen oder verhindern. Es hat nur die Möglichkeit, durch sozial verträgliche Maßnahmen die Last für die Betroffenen zu mildern.
Der über 55- jährigen Kohleförderung im Tagebau Espenhain fielen 20 Gösel- und Pleißedörfer bzw. Teile von ihnen, oftmals mit mehr als tausendjähriger Geschichte zum Opfer. Weit über 8.000 Menschen mussten sich eine neue Heimat suchen. Alle Strukturen sind zerstört und für immer ausgelöscht. Es ist für Betroffene nicht einfach, den Prozess des langsamen Sterbens der Heimat voll zu erfassen und zu verarbeiten. Der Alltag hingegen forderte eine rasche Neuorientierung, viel Platz für Emotionen blieb nicht. Dass der Heimatverlust nicht spurlos an vielen Menschen vorbeigeht, zeigen uns viele Treffen Umgesiedelter wie z.B. das alljährlich in Störmthal noch heute von Hunderten besuchte Magdeborn-Treffen. Mehr als dreißig Jahre nach der Umsiedlung erfreut sich dieses Treffen immer größerer Beliebtheit – auch bei jüngeren Menschen. Es hält die Erinnerungen an die verlorenen Orte sowie die Heimat wach und hilft die Vergangenheit zu bewältigen.
Nicht nur Ortschaften mussten dem voranschreitenden Tagebau weichen. Ganze Bäche, Flüsse, Straßen, Eisenbahnlinien und dgl. mehr waren betroffen. Die Pleiße zwischen Rötha am südlichen Tagebaurand und Markkleeberg im Norden verlegte man außerhalb des Abbaubereiches als gänzlich begradigtes Gewässer. Die landschaftlich besonders interessante, stark mäandernde Pleißenaue verlor damit mehr und mehr ihre über Jahrhunderte gewachsene spezielle Flora und Fauna. Ähnlich verhielt sich dies auch bei der zwischen Magdeborn und Markkleeberg gelegenen Göselaue. Sie verschwand gänzlich. Mit der Umverlegung der Gösel zwischen Pötzschau und Rötha durch bereits überbaggertes und verfülltes Tagebaugelände, entstand ein wertvolles Biotop. Ob von Menschenhand gesteuerte Rekultivierung oder die Inbesitznahme der Brachflächen durch Pioniere der Vegetation – die Natur findet Ihren Weg.
Dörfer, die vom Erdboden verschwinden.
Alle Orte, die durch das Voranschreiten eines Tagebaues abgerissen werden, bezeichnet man als „Verlorene Orte“. Sie sind unwiderruflich weg und können auch nie wieder erschaffen werden. Sehr viele schwierige Fragen sind beim Abbruch der Orte und der Landschaft zu beantworten. Wo werde ich wohnen? Wer bezahlt meine neue Wohnung? Werde ich Heimweh haben? Die Bergbauunternehmen können nicht die Heimat zurückgeben, aber zumindest an anderer Stelle neue Straßen und Häuser für die Menschen aus den „Verlorenen Orten“ bauen.